Halden

Eine Stadt, von der wir nicht einmal eine verschwommene Vorstellung hatten, wenn man mal davon absehen will, dass wir ihre Position kannten und sie gefunden haben.
Unsere sehr zeitige Ankunft liess uns bald etwas klarer sehen: In dieser zwar nicht riesigen aber dennoch beeindruckenden Stadt lehren Möwen ihre Küken auf dem Granit das Laufen, damit sie später auf den Schären gut zurecht kommen; die nackte Schönheit vor dem Stadtpavillon lauscht dem Mädchen mit dem riesigen Blasinstrument schon seit Jahren, während eine Kundin (?) resoluten Schrittes das Architekturbüro verläßt. Die vielen Blumen in den Fenstern sowie die heutige
Ausgestaltung der ehemaligen Arrestzellen als Café deuten darauf hin, dass die Gegenwart trotz der Anwesenheit der Festung Fredriksten friedlicher ist, als in den vergangenen Jahrhunderten. Ein Besuch der kanonanstrotzenden Festung, die heute nur noch in geringem Umfang militärisch genutzt wird (Logistikschule der Armee) bestätigt diese Vermutung. Geschossen wird allerdings auch noch:
Allerdings nur zu friedlichen Anlässen wie z.B. am 8. Mai als Tag der Befreiung, am 17. Mai als Tag des Grundgesetzes, am 7. Juni als Unabhängigkeitstag und dann natürlich zu den Geburtstagen der Königs-
familie. Während der zahlreichen kulturellen Veranstaltungen kommt es auch immer wieder zu Kanonenbesetzungen -- bisweilen dokumentiert.
Die SeglerInnen vom Norsk Flerskrog Seilklubb, die das diesjährige International Multihull Meeting organisiert hatten, haben auch eine Stadtführung nebst Besichtigung der Festung für uns ins Programm genommen. Ein Uniformierter aus früherer Zeit erläuterte die Entstehung Haldens und die Abfolge endloser Kämpfe gegen die Schweden, denen Norwegen gehörte, als Dänemark das Gebiet abtreten musste. In diesen Kriegen spielte neben der Festung Fredriksten die Beteiligung der Bewohner Haldens eine entscheidende Rolle, den Schweden den Marsch nach Norden zu verwehren. Seit 1905 gibt es den Staat Norwegen. Während der Besetzung Norwegens ab 1940 durch die deutsche Wehrmacht und in ihrem Gefolge SS und Gestapo sowie der daraus folgenden Unterdrückung und Ausbeutung der Einheimischen gab es einen ernst zu nehmenden Widerstand; dieser schleuste u.a. Flüchtlinge nach Schweden. Heute werden solche Leute von Vielen Schlepper-banden genannt. Mit der Niederlage Nazi-Deutschlands endete die Besatzungszeit. Seither gab es keinen Krieg mehr auf norwegischem Territorium. Wie aus den beiden nebenstehenden Tafeln deutlich zu erkennen ist, wissen die Verantwortlichen der Festungsmuseen den Frieden zu schätzen. Leider wird Norwegens Rolle in der NATO diesen Überlegungen nicht gerecht, wie insbesondere das aggressive Verhalten Stoltenbergs als Generalsekretär zeigt, der militärischen Lösungen den Vorrang vor zivilen gibt.
Zivilisten in einer militärischen Welt
Zivilisten beteiligten sich an mehr als Spionage und Aufklärung. Die Einheimischen waren für die Truppen sehr nützlich. Die Soldaten erhielten Unterkünfte auf den Bauernhöfen und die Bauern spendeten Holz zum Bau von Verteidigungsanlagen. Steinmetze bauten Bunker und halfen bei Transport und Kommunikation.
Allerdings konnten wichtige Informationen auch in falsche Hände gelangen. Bei einer Gelegenheit wurde schwedischen Jungs, die unschuldig am Hjelmkollen nahe Svinesund spielten, ein näherer Blick auf die dortige Festung erlaubt. Sie fertigten Skizzen davon und gaben sie den schwedischen Truppen als 1905 der Krieg bevorstand.
In Strömstad wurden norwegische Frauen ausgewiesen, weil sie mit schwedischen Offizieren getanzt hatten. Norwegische Arbeiter wurden verachtet und von ihren Arbeitsplätzen verbannt. Eine schwedische Frau musste ihren Grund verlassen, weil sie mit einem Norwegischen Mann verheiratet war. Eine andere Frau mit 4 Töchtern musste Strömstad verlassen weil ihr Mann Norweger war.
Warum Frieden?
Der Konflikt 1905 betraf zwei Länder mit ähnlichen Kulturen und Sprachen. Die Art der Union macht die Scheidung einfacher. Demokratische Beteiligung im politischen System arbeitet für den Frieden. Es gibt keine alte, tiefe Feindschaft zwischen den Völkern.
Während Norwegen zusammensteht gibt es eine klare Unterteilung in Schweden. Die Monarchie ist eine stabilisierende und friedenserhaltende Kraft, und die Verhandlungen in Karlstadt zeigen große Weisheit durch Reduktion des militärischen Faktors. Die großen Mächte wollen keinen Krieg in Skandinavien; Frieden ist modern. Das Militär ist politischer Kontrolle unterworfen.
Unabhängigkeit durch demokratische Mittel ist die Ausnahme zur Regel in der modernen Geschichte. Norwegen in 1905 und die tschechische Republik in 1993 sind die einzigen Beispiele bis zur Auflösung der Sowjetunion. Im Gegenteil gibt es viele Beispiele von Krieg und Revolution, wie die Teilung Österreich-Ungarns und die blutigen Balkan-Kriege.
Soviel zur Geschichte Haldens. Nun zum International Multihull Meeting 2015, das von den NorwegerInnen hervorragend vorbereitet und durchgeführt wurde. Die ca. 50 Boote, in der Mehrzahl Katamarane fanden in einem Teil des Industriehafens Platz, der für die Dauer des IMM sowie einige Tage vorher und anschließend vom Hafenamt zur Verfügung gestellt wurde. Die Liegegebühren waren im Meldegeld enthalten und der Weg zu den erstklassigen Sanitäranlagen im Sportboothafen war kurz. Die NorwegerInnen haben offensichtlich keine besonders guten Beziehungen zum Wettergott, aber anscheinend zur Handelsschiffahrt: Am Donnerstag und Freitag blies es recht kräftig in das Hafenbecken, sodass die Boote ziemlich unruhig lagen. Hilfe nahte in Form eines riesigen orangen Kabellegers, der sich vor uns an die Pier legte -- ein erstklassiger Wellenbrecher. Später legte sich noch ein Blauer an die gegenüberliegende Pier: Doppelschutz! Während "Open Ship" hatten wir auch etliche nette BesucherInnen an Bord.
Bei der Eröffnung meines "Ladens" für KGB (kleine gelbe Beutel) und Soft Shackel konnte ich Michael und Anne als erste KundInnen begrüßen.
Höchst unfreundlich seitens der Wettergötter aller beteiligen Nationen war der umlaufende Schwachwind, der eine ernstzunehmende Regatta vereitelte. Stattdessen war Topfschlagen angesagt -- Das hatten die Organisatoren nicht verdient. Der gewählte Kurs war ohnehin nicht lang, aber wegen der ulkigen Windverhältnisse kamen trotz Halbierung der Strecke auf etwa 4 sm nicht alle Boote innerhalb des Zeitlimits von 2 Std. ins Ziel. So wurde aus der Wettfahrt ausschließlich eine Bootsbetrachtung.
Und dann natürlich die Sausen: jeden Abend Essen satt! Am Donnerstag nach der Registrierung "Pølse med Lompe Party", freitags "Rekeparty" (we bring the shrimps, you bring the mood) und am Samstag nach dem Topfschlagen die "IMM Party Night" mit jeder Menge Gegrilltem und anschließend Live Music -- alles richtig gut mit richtig netten Leuten unterschiedlicher Nationen. Das zeigt: wir können zusammen leben, ohne uns die Köppe einzuhauen -- vielleicht sollten die PolitikerInnen von den MultihullerInnen lernen.
Die Holztasse, ein typischer Gegenstand aus vergangenen Zeiten bleibt als physische Erinnerung an die IMM. Michael spielte uns auf der Guitarre einige klassische Stücke vor: schön und nett. Und Frau "Normand Oceanic" die Kabellegerin schickte zur Verabschiedung Rauchzeichen.